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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
10.05.2016
Wenn Eltern weiter zahlen müssen …

Ausbildungsunterhalt für Zweit- oder Zusatzausbildung

Ein Kind hat gegen seine Eltern einen Anspruch auf Finanzierung einer angemessenen Berufsausbildung. Mit dieser Unterhaltspflicht auf Seiten der Eltern korrespondiert auf Seite des Kindes die Obliegenheit, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Die Eltern sollen solange wie nötig – nicht aber darüber hinaus – in Anspruch genommen werden können. Hat das Kind eine Erstausbildung abgeschlossen, endet die elterliche Unterhaltspflicht  daher auch in aller Regel. Rechtlich kann – und muss – das Kind nun eigentlich „auf eigenen Beinen stehen“.

Es gilt aber auch hier der Grundsatz: Keine Regel ohne Ausnahme. Unter besonderen Voraussetzungen müssen Eltern auch für Zweit- oder Zusatzausbildung aufkommen.

Wann muss eine weitere Ausbildung finanziert werden?

Die Situationen, in denen ein Kind eine weitere Ausbildung absolvieren möchte, sind vielfältig. Besonders praxisrelevant sind die sogenannten „Abitur-Lehre-Studium-Fälle“. Hier hat das Kind nach dem Abitur zunächst eine Lehre gemacht und möchte nun studieren. Für Eltern wie Kinder stellt sich häufig die Frage, ob das Kind weiter unterhaltsberechtigt ist. Schließlich könnte es ja in seinem erlernten Beruf arbeiten.

Nach ganz herrschender Meinung müssen Eltern eine zweite Ausbildung finanzieren, wenn

  1. zwischen den beiden Ausbildungen ein enger fachlicher Zusammenhang besteht,
  2. das Kind die zweite Ausbildung im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Erstausbildung aufnimmt und
  3. die weitere Ausbildung für die Eltern vorhersehbar und zumutbar war.

Die Rechtsprechung geht sogar davon aus, dass ein an eine Berufsausbildung anschließendes Hochschulstudium, dass die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, keine Zweitausbildung ist, sondern eine „Weiterbildung“ im Rahmen der gesetzlich geschuldeten Erstausbildung im Sinne von § 1610 II BGB.

Die Voraussetzungen im Einzelnen

Ob die oben genannten Voraussetzungen im konkreten Einzelfall erfüllt sind, ist für den juristischen Laien nicht leicht zu erkennen. Von Rechtsprechung und Literatur wurden Fallgruppen und Beispielsfälle gebildet, die jedoch allenfalls als grobe Anhaltspunkte dienen können:

  1. 1.       Enger fachlicher Zusammenhang

Ein enger fachlicher (auch: sachlicher) Zusammenhang besteht, wenn (Erst-)Ausbildung und Studium derselben Berufssparte angehören oder aber so zusammenhängen, dass sich beide Ausbildungen fachlich ergänzen und vertiefen, oder dass die praktische Ausbildung eine sinnvolle Vorbereitung auf das Studium darstellt.

Von der Rechtsprechung wurde ein solcher enger fachlicher Zusammenhang beispielsweise bejaht bei einer Kfz-Lehre und einem Maschinenbaustudium oder einer Banklehre und einem Jurastudium, nicht aber bei einer Lehre als Industriekaufmann und einem Medizinstudium.

  1. 2.       Enger zeitlicher Zusammenhang

Zwischen (Erst-)Ausbildung und Studium muss ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Das Kind muss mit anderen Worten nach seiner Lehre zeitnah und zielstrebig das gewünschte Studium aufnehmen. Ihm ist dabei eine gewisse Orientierungszeit zuzubilligen; ferner sind (sinnvoll genutzte) Wartezeiten auf einen Studienplatz (etwa in stark zulassungsbeschränkten Studienfächern wie Medizin) für den Unterhaltsanspruch unschädlich. Andererseits fehlt ein enger zeitlicher Zusammenhang, wenn das Kind nach abgeschlossener Lehre den erlernten Beruf ausgeübt hat, obwohl ihm ein Studienplatz zur Verfügung gestanden hätte.

  1. 3.       Vorhersehbarkeit und Zumutbarkeit

Die Fortführung der Ausbildung – das Studium – muss für die Eltern vorhersehbar gewesen sein. Vorhersehbarkeit meint nicht, dass der Entschluss zum Studium bereits zu Beginn der Ausbildung gefasst worden ist. Es reicht aus, wenn das Kind seine Entscheidung sukzessiv mit dem Erreichen der jeweiligen Ausbildungsstufe trifft und den Entschluss zur Weiterführung der Ausbildung durch ein Studium nach Beendigung der praktischen Ausbildung fasst.

Schließlich muss die weitere Ausbildung den Eltern auch wirtschaftlich zumutbar sein. Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist hier beispielsweise zu berücksichtigen, ob den Eltern bisher überhaupt Kosten entstanden sind: Konnte sich das Kind mit seiner Ausbildungsvergütung beispielsweise selbst die Lehrzeit finanzieren, ist den Eltern die Finanzierung eines Studiums jedenfalls zumutbar.

Fazit des Fachanwalts für Familien- und Erbrecht Joachim Mohr

Die Pflicht seinem Kind eine angemessene Ausbildung zu finanzieren geht weiter, als viele Eltern glauben. Eine abgeschlossene Berufsausbildung allein lässt die Unterhaltspflicht jedenfalls nicht automatisch entfallen. Die Rechtslage ist aber so unübersichtlich und dadurch kompliziert, dass ein juristischer Laie kaum allein zu einer verlässlichen Lösung gelangen wird. Die oben genannten Voraussetzungen können ihm zwar als erster Anhaltspunkt dienen. Betroffenen Eltern wie Kindern ist dringend zu raten, im Zweifel rechtlichen Beistand zu suchen.


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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