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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
17.04.2019
Wenn sich das Erbe nachträglich als werthaltig herausstellt

Anfechtung der Erbausschlagung

Eine Erbschaft kann innerhalb von sechs Wochen ausgeschlagen werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall der Erbschaft und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Eine entsprechende Ausschlagungserklärung hat hierbei gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht zu erfolgen, andernfalls gilt die Erbschaft mit Ablauf der Frist als angenommen. Sollte eine Erbschaft ausgeschlagen werden, gibt es einige Gründe, die zur Anfechtung der eigenen Erklärung berechtigen. Hierunter fallen zum Beispiel:

-          ein Irrtum in der Erklärungshandlung (§ 119 I, Alt. 2 BGB), beispielsweise Verschreiben, Versprechen, usw.,

-          ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung (§ 119 I, Alt. 1 BGB), beispielsweise die Unkenntnis von der Möglichkeit einer Ausschlagung,

-          die arglistige Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB)

-          die falsche Übermittlung (§ 120 BGB)

-          oder die Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB)

Im vorliegenden Fall beschäftigte sich das OLG Oldenburg (I-3 Wx 140/18) jedoch mit dem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft als Anfechtungsgrund, der grundsätzlich für den Fall anerkannt ist, dass der Ausschlagende sich über die Überschuldung des Nachlasses irrte.

 

Ausschlagung erfolgte wegen Unkenntnis über das Vermögen

Die Erblasserin, die tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde, hatte kein Testament errichtet. Deshalb war ihre Schwester neben weiteren Personen zur gesetzlichen Erbin berufen. Sie hatte die Erbschaft jedoch im Februar 2017 ausgeschlagen, weil ihr der Nachlass nicht bekannt gewesen sei.

Nachdem die Nachlasspflegerin ein Nachlassverzeichnis erstellt hatte und der Schwester im Juni 2017 mitgeteilt hatte, dass der Nachlass nicht überschuldet sei, hat sie ihre Ausschlagungserklärung kurz darauf angefochten, weil sie keine Möglichkeit gehabt habe, zu prüfen, über welches Vermögen die Erblasserin verfügte. Ferner ging sie davon aus, dass sie als Erbin die Entrümpelungs- und Renovierungskosten für die Wohnung sowie daraus resultierende weitere Monatsmieten zu tragen habe. Laut der Rechtsprechung müsse in diesem Fall jedoch keine Entrümpelung stattfinden. Von der Unwirksamkeit der Schönheitsreperaturklausel im Mietvertrag der Erblasserin habe sie erst nach ihrer Ausschlagungserklärung erfahren.

All dies führe ihres Erachtens dazu, dass sie einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses unterlag.

 

Antrag auf Erteilung eines Erbscheins wurde abgewiesen

Im Rahmen des Erbscheinverfahrens, in dem die Schwester ihre Ausweisung als Alleinerbin beantragt hatte, erklärte das Gericht jedoch, dass die Anfechtung der Ausschlagungserklärung nicht wirksam sei, weil kein tauglicher Anfechtungsgrund vorliege. Hiergegen erhob sie Beschwerde, mit der Begründung, dass ihre Ausschlagungserklärung durch die Rechtspflegerin erfolgt sei, der sie die Lebensverhältnisse der Beteiligten geschildert hatte. Diese seien jedoch im Rahmen der Ausschlagung nicht vollständig wiedergegeben worden. Zudem mangelte es an einer Belehrung darüber, dass jenes Protokoll zur Erklärung der Ausschlagung genutzt würde.

 

Spekulationen über den Nachlass stellen einen Motivirrtum dar

Das OLG Oldenburg (I-3 Wx 140/18) bestätigte die Ansicht des Nachlassgerichts. Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache, also hier des Nachlasses, sei zwar grundsätzlich tauglicher Anfechtungsgrund. Hierzu sei jedoch erforderlich, dass eine Überschuldung aufgrund falscher Vorstellungen hinsichtlich der Nachlasszusammensetzung angenommen wurde.

Daraus folgt also, dass ein Irrtum nur dann vorliegen könne, wenn eine Bewertung der Nachlasshöhe auf der Grundlage von zugänglichen Fakten erfolgt sei. Bloße Spekulationen seien nicht ausreichend, um einen Irrtum wegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft einer Sache zu begründen. Ungeachtet des Protokollinhalts habe die Schwester selbst davon gesprochen, lediglich wegen einer bloßen Befürchtung ausgeschlagen zu haben. Es handele sich hierbei folglich um einen Motivirrtum.

 

Rechtssicherheit geht der Anfechtung vor

Das Gericht führte weiterhin aus, dass bloße Motivirrtümer grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigen. Grund hierfür sei die Rechtssicherheit. Unter erbrechtlichen Gesichtspunkten führe eine Anfechtungsberechtigung wegen Irrtümern im Motiv des Anfechtenden zu einer nicht gewünschten „Haftungsbeschränkung eines Erben“ und der daraus folgenden Möglichkeit einer „einstweilige[n] Ausschlagung“, durch die der potentielle Erbe so immer die endgültige Klärung der Vermögensverhältnisse abwarten könne.

Die Anfechtung ging somit ins Leere. Aufgrund der wirksamen Ausschlagung beerbte die Schwester die Erblasserin nicht.

 

 

 

 

 

 


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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