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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
11.11.2015
Erbansprüche bringen Kinder hervor

Wie ein Toter zum Vater und eine 70-jährige zur Tochter werden

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Eine 70-jährige erfuhr davon, dass ein Mann verstorben war, der vermutlich ihr biologischer Vater war. Ihre Mutter hatte ihr bereits an ihrem 18. Geburtstag – also 52 Jahre zuvor – erzählt, dass sie vermutlich aus einer nichtehelichen Beziehung zu diesem Mann hervorgegangen sei. Der Ehemann der Mutter sei also nicht ihr Vater. Mutter und Tochter lebten seinerzeit in der DDR.

Es fanden Besuche in Westdeutschland statt

In der Folgezeit reiste die junge Frau zu der potentiellen Familie des Mannes nach Westdeutschland. Sie habe sich dort einmal mit ihrem vermeintlichen Vater in einem Hotel getroffen, bei dem er offenbar ganz selbstverständlich davon ausgegangen sei, ihr Vater zu sein. Bei ihren Besuchen sei sie zudem von ihrer „Oma“ sehr verwöhnt worden. Sie habe auch Kontakt zur Schwester ihres potentiellen Vaters gehabt. Ein Anerkenntnis der Vaterschaft ist jedoch nie erfolgt. Nach dem Todesfall beantragte die 70-jährige die Feststellung, dass sie die Tochter des verstorbenen Mannes gewesen sei. Vermutlich hat dieser einen nennenswerten Nachlass hinterlassen.

Gewebeprobe ist zur Vaterschaftsfeststellung erforderlich

Zur Vaterschaftsfeststellung ist es erforderlich, ein sogenanntes DNA – Gutachten zu erstellen, in dem das Erbgut des Vaters und der Tochter miteinander verglichen werden, um eine Vaterschaft festzustellen oder auszuschließen. Da der potentielle Vater verstorben und bereits beerdigt worden war und von ihm keine Gewebeproben zur Verfügung standen, wurde dessen ehelicher Sohn gebeten, sein Erbgut zur mittelbaren Überprüfung der Abstammung der möglichen „Stiefschwester“ zur Verfügung zu stellen, weil eine Untersuchung auch anhand dessen möglich wäre.

Ehelicher Sohn hat die Mitwirkung verweigert

Diese Mitwirkung hat der Sohn abgelehnt, so dass die potentielle Tochter die Exhumierung ihres möglichen Vaters beantragt hatte, um eine Gewebeprobe mit Erbgut aus den sterblichen Überresten der Person zu entnehmen und damit die Vaterschaftsfeststellung zu ermöglichen.

Diesem Antrag ist der eheliche Sohn mit der Begründung entgegengetreten, es sei unverhältnismäßig, die Totenruhe seines Vaters und nicht zuletzt auch die seiner im gleichen Grab gebetteten Ehefrau zu stören, nur um eine Vaterschaft feststellen zu lassen. Dies gelte insbesondere, weil diese ausschließlich dazu diene, vermögensrechtliche Ansprüche zu realisieren, nämlich die Erbansprüche der Tochter. Zudem habe jahrzehntelang die Möglichkeit bestanden, die Vaterschaft feststellen zu lassen. Das sei jedoch nicht erfolgt, sodass von einer Verwirkung des Anspruchs auf Vaterschaftsfeststellung auszugehen sei. Den Einwand, durch eine Vaterschaftsfeststellung werde auch sein Erbanspruch beeinträchtigt, hat der Sohn nicht erhoben, obwohl dies sicher auch ein Motiv für seinen Widerstand gewesen sein könnte.

„Tochterschaft“ ist wichtiger als Totenruhe

Alle mit dem Fall befassten Instanzen (Amtsgericht Dresden, Oberlandesgericht Dresden und der Bundesgerichtshof – Beschluss vom 29. Oktober 2014 – XII ZB 20/14) gaben der Tochter recht und ließen die Exhumierung zu.

Die Achtung der Totenruhe müsse hinter dem Interesse auf Feststellung der Vaterschaft zurücktreten. Die Totenruhe der Ehefrau des Verstorbenen werde ohnehin nur geringfügig gestört. Eine Verwirkung durch Zeitablauf komme in solchen Fällen grundsätzlich nicht in Betracht. Auch wenn vermögensrechtliche Interessen, hier die Durchsetzung von Erbansprüchen, das ausschlaggebende Motiv für die Vaterschaftsfeststellung seien, stehe das dem Anspruch auf Exhumierung nicht entgegen. Die Teilhabe am väterlichen Erbe sei ein legitimes Interesse.

Ob die Abstammung der Frau von dem potentiellen Vater durch den Vergleich des Erbgutes letztendlich festgestellt worden ist oder nicht, ist leider nicht bekannt.


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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