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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
08.12.2015
One-Night-Stand und Unterhaltsvorschuss

Muss eine Behörde für ein Kind Unterhalt leisten, wenn der Vater nicht bekannt ist?

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Begehrt eine alleinerziehende Mutter, der der Kindsvater – beispielsweise wegen eines „One-Night-Stands“ – nicht bekannt ist Unterhaltsvorschuss, entscheiden die Behörden höchst unterschiedlich. Die eine zahlt, die andere nicht. Diese Tatsache verwundert auf den ersten Blick. Schließlich unterfällt auch diese Konstellation – zumindest scheinbar – eindeutig den Voraussetzungen des Unterhaltsrechtsvorschussgesetzes (UVG).

Die rechtlichen Rahmenbedingungen

Denn nach § 1 I, II UVG setzt ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen lediglich voraus, dass

  1. 1.    das anspruchsberechtigte Kind sein zwölftes Lebensjahr noch nicht überschritten hat, es
  2. 2.    bei seinem (zusammengefasst) alleinerziehenden Elternteil lebt und
  3. 3.    vom anderen Elternteil keine Unterhaltsleistungen (oder Waisenrente) erhält.

Einen Ausschlusstatbestand sieht § 1 III UVG vor. Danach ist ein Anspruch auf die Unterhaltsvorschussleistungen ausgeschlossen, wenn der alleinerziehende Elternteil sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung des UVG erforderlich sind, zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthaltes des anderen Elternteils mitzuwirken.

Wenn also die alleinerziehende Mutter bei Antragstellung wahrheitsgemäß angibt, den Kindsvater nicht zu kennen, weil das Kind bei einem One-Night-Stand gezeugt worden ist,   erfüllt sie einerseits die Voraussetzungen des § 1 I UVG. Andererseits kommt sie ihren Mitwirkungspflichten aus § 1 III UVG nach. Letzteres, da sie ja tatsächlich keine Kenntnis von der Person des Vaters hat und daher nicht mit entsprechenden Hinweisen dienen kann.

Die abwehrende Haltung der Verwaltung

In der Praxis fällt die Entscheidung der Unterhaltsvorschusskassen gleichwohl für  die Unterhaltsvorschuss begehrende Mutter ganz überwiegend negativ aus.

Der Grund hierfür ist in Sinn und Zweck sowie der Historie des UVG zu erblicken. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien wollte der historische Gesetzgeber den Schwierigkeiten alleinerziehender Eltern begegnen, die dadurch entstehen, dass sich der andere Elternteil den Zahlungsverpflichtungen  gegenüber seinem unterhaltsberechtigten Kind entzieht, hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist.

Damit ist der Unterhaltsvorschuss keine typische Sozialleistung, die an einen individuellen Bedarf anknüpft. Er soll vielmehr die ausfallende Mindestleistung des unterhaltspflichtigen Elternteils abdecken. Der Gesetzgeber hat die öffentliche Unterhaltsleistung daher auch als „Vorschuss“ konzipiert: Sie erfolgt in der Erwartung, den geleisteten Betrag von dem säumigen, zum Barunterhalt verpflichteten anderen Elternteil zurückzufordern. Der Gesetzgeber ging dabei davon aus, dass der alleinerziehende Elternteil sich so verhält, dass die Unterhaltsvorschussleistung nicht zur Unterhaltsausfallleistung wird.

Gerade letzteres ist aber im Problemfall des „unbekannten Kindsvaters“ die Folge einer anspruchstellerfreundlichen Auslegung der Bestimmungen des UVG: Ist der Kindsvater nicht bekannt, kann ein einmal geleisteter Unterhaltsvorschuss auch nicht zurückgefordert werden.

Daher werden in dieser besonderen – vom historischen Gesetzgeber schlicht übersehenen – Fallgruppe von der Verwaltungspraxis die Regelungen des UVG eher einschränkende angewendet, um dem eigentlich Sinn und Zweck der Normen Rechnung zu tragen. Das gilt insbesondere für die in § 1 III UVG normierte Mitwirkungspflicht des alleinerziehenden Elternteils.

Der unbekannte Kindsvater in der Rechtsprechung

Das zeigen anschaulich die folgenden obergerichtlichen Entscheidungen:

Das OVG Lüneburg (OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.01.2014 - 4 LA 3/14) hatte 2014 darüber zu entscheiden, ob das aus einem One-Night-Stand entstandene Kind Anspruch auf Leistungen nach dem UVG hat. Die alleinerziehende Mutter konnte keine Angaben zum Vater ihres Kindes machen. Sie gab an, in den Wochen um die Empfängnis mit insgesamt etwa acht Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Sex habe nach Diskothekenbesuchen anonym und alkoholisiert in PKW stattgefunden. Namen oder gar Kontaktdaten seien nicht ausgetauscht worden. Die Männer habe sie bei weiteren Besuchen der verschiedenen Diskotheken nie wieder getroffen. Auch hier hat das OVG einen Anspruch auf Leistungen nach dem UVG verneint. Wie bei der anonymen Samenspende habe die Kindesmutter durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation geschaffen, die eine Ermittlung des Vaters unmöglich mache. Die öffentliche Hand würde daher im Falle der Gewährung von Leistungen nach dem UVG  gerade keinen Vorschuss, sondern vielmehr eine Ausfallleistung gewähren. Insofern habe die Kindsmutter ihre Verpflichtungen aus § 1 III UVG analog nicht erfüllt.

Im Falle einer anonymen Samenspende hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 16.05.2013 - 5 C 28.12) im Jahr 2013  einen Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen beispielsweise verneint. Nach Auffassung des Gerichts habe sich die alleinerziehende Mutter bewusst und willentlich in eine Situation begeben, in der die Ermittlung des anderen Elternteils unmöglich sei. Damit habe die Mutter gegen ihre Mitwirkungspflicht aus § 1 III UVG analog verstoßen.

Der Zeitpunkt der Mitwirkungsrechtsverletzung i.S.v. § 1 III UVG wird von den Gerichten damit faktisch auf den Zeitpunkt der Zeugung des Kindes vorverlagert.

Die Richtlinie zur Durchführung des UVG

Weniger weitgehend sind die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebenen Richtlinien zur Durchführung des UVG.

Danach soll die von den Gerichten vorgenommene Analogie jedenfalls in Fällen anonymer Samenspende gelten; darüber hinaus immer dann, wenn eine Frau absichtlich von einem nichtidentifizierbaren Unbekannten schwanger werden wollte. Wann aber dieser Vorsatz, also eine persönliche Vorstellung der Mutter, zu bejahen sein wird – und was in Fällen „billigender Inkaufnahme“ gilt, ist unklar.

Fazit des Fachanwalts für Familienrecht Joachim Mohr

Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass die Unterhaltsvorschusskassen in vergleichbaren Fällen unterschiedlich entscheiden werden. Bei der Prüfung eines Anspruchs auf UVG Leistungen der alleinerziehenden Mutter bei unbekanntem Vater bleiben dem Rechtsanwender nur einige unbefriedigend grobe Leitlinien:

  • Ein Anspruch setzt voraus, dass die Kindsmutter alles in ihrer Macht und Kenntnis stehende getan hat, um ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen. Hält die Mutter absichtlich Informationen zurück oder versäumt sie zumutbare Identifizierungsversuche, ist ein Anspruch regelmäßig zu verneinen. Glaubhaft vorgetragenes, unverschuldetes Nichtwissen lässt einen Anspruch nicht entfallen.
  • Ein Anspruch besteht jedenfalls nicht, wenn es der Kindsmutter darauf ankam, von einem nichtidentifizierbaren Mann schwanger zu werden. Indiz hierfür ist die Nicht-Nutzung von Verhütungsmitteln. Was in Fällen „billigender Inkaufnahme“ gilt, ist unklar. Mit Blick auf die von der jüngeren Rechtsprechung vorgenommene analoge Anwendung des § 1 III UVG wird aber auch hier ein Anspruch eher abzulehnen sein.


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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