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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
22.12.2015
Kindeswohl und Kindeswille

Umgang über Nacht – auch wenn ein Kind nicht will?

Oftmals gehen die Wünsche getrenntlebender Eltern und ihrer Kinder deutlich auseinander. Nicht immer setzt sich dabei der Elternteil durch. Dies musste kürzlich auch eine Mutter aus Brandenburg erfahren, die mit einer Rechtsbeschwerde vor dem OLG Brandenburg (Beschluss vom 07.08.2015 – Az. 9 UF 8/15) Übernachtungsumgang durchsetzen wollte.

 

Das Kind wollte nicht über Nacht bleiben

Die Beschwerdeführerin ist Mutter eines 2007 geborenen Sohnes, der infolge eines Sorgerechtsverfahrens 2012 zu seinem Vater gezogen ist. Seit dem Umzug gab es zwischen Mutter und Sohn kaum persönlichen und unbegleiteten Umgang. 2014 kam dieser schließlich ganz zum Erliegen. Vor dem Familiengericht beantragte die Mutter daher 14-tägigen Wochenendumgang mit Übernachtung sowie Ferienumgang. Das Gericht hörte den mittlerweile achtjährigen Sohn an, der bekundete Umgang mit der Mutter haben zu wollen, diesen aber ohne Übernachtung. Das Familiengericht entsprach diesem Wunsch. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter Rechtsbeschwerde ein.

Kindeswille entscheidend

Aber auch das OLG Brandenburg sah sich an den Wunsch des Achtjährigen gebunden. Nach Auffassung des OLG entsprechen Übernachtungen eines achtjährigen Kindes beim umgangsberechtigten Elternteil zwar im Grundsatz dem Kindeswohl. Abweichende Entscheidungen seien sogar besonders zu rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung ergebe sich aber aus dem vom Kind geäußerten Willen, der bei der Bestimmung des Kindeswohls nicht außeracht gelassen werden dürfe. Eine Übernachtungsregelung gegen den Willen des Kindes sei vor allem mit Blick auf den in der Vergangenheit nur sporadisch unterhaltenen Kontakt für das Kind schädlich.

Entwicklung in der Rechtsprechung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts fügt sich damit in eine jüngere Tendenz der Rechtsprechung ein, die das Kindeswohl nicht gegen bzw. ohne den geäußerten Kindeswillen zu bestimmen versucht.

Dies ist nicht selbstverständlich: In der Vergangenheit vertrat die Rechtsprechung regelmäßig die Auffassung, dem Kindeswillen komme keine zentrale Bedeutung zu. Der Abneigung des Kindes liege keine eigene kindliche Einschätzung zugrunde. Vielmehr habe der betreuende Elternteil diesen Widerwillen durch entsprechende Beeinflussung erzeugt.

Fazit des Fachanwalts für Familienrecht Joachim Mohr

Vor diesem Hintergrund ist diese neuere Rechtsprechung zu begrüßen! Denn auch der Wille eines Kindes ist als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts rechtlich beachtlich. Daher sind Kinder auch schon in jungem Alter – das Bundesverfassungsgericht  benennt drei Jahre als Untergrenze – gerichtlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung des Gerichts von Bedeutung sind (§ 159 II FamFG). Natürlich ist der Kindeswille alters- und reifegebunden zu berücksichtigen; oftmals wird sich der Kinderwille auch zukünftig und im Ergebnis richtig dem Kindeswohl unterordnen müssen. Den Kindeswillen immer dem vermeintlichen Kindeswohl unterzuordnen geht aber fehl.

 


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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