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Kanzlei, Rechtsanwalt, Gießen
06.03.2019
Erbaussicht als Druckmittel?

Sittenwidrigkeit einer Erbeinsetzung unter der Bedingung einer Besuchspflicht

Als die Ehefrau des Erblassers und dessen Sohn aus erster Ehe die Erteilung eines Erbscheins begehrten, stellte sich die Frage nach der Erbenstellung von dessen Enkeln. Diese sind die Kinder eines zweiten Sohnes des Verstorbenen. Während die Ehefrau des Erblassers 25% des gesamten Geldvermögens erhalten und die Nachlassschulden tragen sollte, wurde der Sohn aus erster Ehe ebenfalls mit 25% des dann noch vorhandenen Vermögens bedacht. Die beiden Enkel des Verstorbenen sollten die restlichen 50% zu gleichen Teilen bekommen. Dies jedoch unter einer Bedingung: Sie haben ihren Großvater lebzeitig mindestens sechsmal im Jahr bei sich zuhause zu besuchen. Andernfalls fielen die 50% der Ehefrau und dem Sohn aus erster Ehe zu. Die Regelung war den Beteiligten zu Lebzeiten bekannt.

Weil die gewünschten Besuche von den Enkeln nicht wahrgenommen wurden, erhoben sie Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins, den die Ehefrau beantragt hatte und welcher sie und den Sohn aus erster Ehe als hälftige Miterben auswies. Die Enkel wurden in ihrer Ansicht durch das OLG Frankfurt am Main bestätigt (20 W 98/18).

Testierfreiheit gegen Entschließungsfreiheit

Grundsätzlich erlaube die besonders geschützte Testierfreiheit es dem Erblasser oder der Erblasserin, Verfügungen von Todes wegen nach den gewünschten Vorstellungen zu treffen. Auch Bedingungen können dabei aufgenommen werden. Ausnahmsweise seien solche aber unzulässig, wenn die geforderte Bedingung „unter der Berücksichtigung der höchstpersönlichen oder wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit der bedingten Zuwendungsempfänger unzumutbar unter Druck setzt und durch das Inaussicht-stellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetzen“. Folglich hatte das Gericht zu entscheiden, welchem Rechtsgut hier Vorrang gebührt.

Sittenwidrigkeit hängt vom Einzelfall ab

Ob die Entschließungsfreiheit der Enkel hier tangiert ist, die die Sittenwidrigkeit der Bedingung begründen würden, müsse einzelfallbezogen betrachtet werden. Eine Sittenwidrigkeit wird grundsätzlich angenommen, wenn gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen wird. In diesem Fall wäre diese Definition erfüllt, wenn der Erblasser versucht, ein bestimmtes Verhalten zu „erkaufen“.

Dies bejahte das OLG. Die Enkel würden durch das in Aussicht gestellte Erbe in Höhe von 250.000 – 300.000 Euro in der freien Entscheidung über die Vornahme der geforderten Besuche beeinflusst. Die Entschließungsfreiheit werde hier in einem Maße eingeschränkt, das von der Rechtsordnung, trotz der hohen Stellung der Testierfreiheit, nicht gedeckt sei. Folglich stufte das Gericht die bedingte Erbeinsetzung als sittenwidrig ein.

Rechtliche Folgen

Die bedingte Erbeinsetzung verbunden mit einer Besuchspflicht ist somit nichtig. Das Gericht ging jedoch auf der Grundlage des hypothetischen Willens des Erblassers und der Gesamtumstände des Falles davon aus, dass er seine Enkel trotzdem als Erben hätte einsetzen wollen, wenn er von der Nichtigkeit gewusst hätte. Hierfür sprächen unter anderem die identisch festgesetzten Erbquoten seiner beiden Enke, verglichen mit denen seiner Ehefrau und seines Sohnes aus erster Ehe.


Joachim Mohr
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht, Mediator



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